Kundgebung am 06.06.2020: Polizei – kein Freund und Helfer!

Gestern demonstrierten in Erlangen auf Einladung des Antifa-Cafés rund 400 Personen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Unter dem Motto „Black Lives Matter“ solidarisierten sie sich mit den globalen antirassistischen Protesten. In unserem Redebeitrag kritisierten wir rassistische Kontinuitäten von Staat und Polizei weltweit. Außerdem verlasen wir die Namen und die Todesumstände von Opfern rassistischer Polizeigewalt in Deutschland.

Meistens ist der Tod von Menschen, die Opfer von Polizist*innen wurden keine drei Sätze wert. Sie bleiben Randnotiz ohne medialen Widerhall. Denn in den meisten Fällen gibt es kein Video, das die Gewalt dokumentiert. Der rassistische Mord an George Floyd durch Polizeibeamten wurde durch Zeug*innen aufgenommen und der Welt schonungslos im Internet offengelegt. Dass daraufhin vier Polizisten entlassen, einer von ihnen wegen Totschlags angeklagt wurde und tausende Demonstrant*innen in der Großstadt im Bundesstaat Minnesota gegen exzessive Polizeigewalt protestieren, ist vor allem dem Videobeweis zu verdanken. Es war nicht der erste rassistische Mord der amerikanischen Polizei, es war nicht einmal der erste in diesem Jahr und nicht der letzte seitdem. 
Rassistische Gewalt durch die Polizei ist eine der Haupttodesursachen schwarzer junger Männer in den USA. George Floyd ist ein Name in einer langen Liste schwarzer Menschen, die durch Polizist*innen in den USA getötet worden sind und erinnert an den Tod von Sandra Bland, Mike Brown, Eric Garner, Freddie Gray, Aiyana Jones, Tamir Rice, Alton Sterling und unzähliger anderer. Namen von Menschen, die zu Symbolen rassistischer Polizeibrutalität geworden sind.Durch den Mord an George Floyd wurden wir wieder daran erinnert, dass rassistische Gewalt eine tödliche Gefahr ist. Rassistische Strukturen in der Polizei töten, immer wieder. Sie konsequent aufzubrechen ist mehr als wichtig, für viele ist es sogar überlebensnotwendig.
Die Proteste in US-amerikanischen Städten zeigen die Enttäuschung und die Verzweiflung, die Schwarzen angesichts des institutionellen und strukturellen Rassismus fühlen. 
 
Wir sollten uns allerdings nicht täuschen und denken, dies wäre allein ein US-amerikanisches Problem. Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze sind auch hier allgegenwärtig. Auch in Deutschland gehört rassistisches Polizeihandeln zum Alltag von BPoC und führt zum Tod von Menschen.
 
Für die meisten erscheint die Polizei zwar nicht immer als Freund, aber wenigstens als Helfer, als wichtiger Ansprechpartner für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung. Die Meistenkönnen sich mit deren Perspektive identifizieren. Vor allem weil sich diese Mehrheit in der Welt, die sie schützt, zu Hause fühlen (suggeriert, dass sich Personen, die nicht in diese Mehrheit einbegriffen sind,sich nicht zu Hause fühlen?). Neben dieser Mehrheitsperspektive gibt es jedoch eine Minderheitenperspektive, eine Perspektive von Menschen, die andere Erfahrungen mit der Polizei machen und für die Polizeikontakte zum alltäglichen Leben gehören. Tötungen sind nur die extremsten Beispiele alltäglicher Diskriminierungen. Wer wird im Zug nach dem Ausweis gefragt oder im Bahnhof an die Wand gestellt? Insbesondere Menschen of colour werden häufiger als Weiße angehalten, kontrolliert, beleidigt oder schikaniert. Aber auch andere Gruppen erleben die Polizei im besten Fall als lästig, im schlimmsten Fall als Gefahr fürs Leben. Arme Menschen, Wohnungslose, Drogennutzer*innen, Sexarbeiter*innen, Geflüchtete. Diese Perspektive schafft es oft nicht in die Öffentlichkeit. Der Normalzustand der Einen ist der alltägliche Ausnahmezustand der Anderen und die Polizei nicht Teil der Lösung von Gewalt sondern Teil des Problems.
Polizist*innen werden nur selten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Die wenigsten Strafanzeigen gegen Polizist*innen führen zu einem Verfahren und fast nie zur Verurteilung der Beschuldigten. Meistens kommt nur wenig heraus, wenn Beamt*innen gegen Kolleg*innen ermitteln. Laut der Untersuchung von Professor Tobias Singelnstein kommen nur 2% der Strafverfahren gegen Polizisten*innen vor Gericht. Somit handelt es sich um gewalttätigen Rassismus, der institutionell gedeckt ist.

 

Solange in dieser Gesellschaft einige Leben weniger als andere zählen, werden wir auf die Straße gehen. Wir schicken solidarische Grüße an unsere Genoss*innen und Freund*innen auf den Straßen amerikanischer Städte, die der entsicherten Staatsmacht praktische Solidarität entgegensetzen!
From Germany to Minneapolis: Fight the Police! Solidarity beyond borders! Black lives matter!

 


 
 
Das Folgende soll ein Zusammentragen von Opfern rassistischer Polizeigewalt in Deutschland sein. Die Liste ist und wird immer unvollständig sein.
 
Achidi John: Gestorben am 12.12.2001 in Hamburg an zwangsweiser Verabreichung von Brechmittel, in Kombination mit einem Herzfehler und vorheriger Einnahme von Kokain. Das Brechmittel wurde durch die Rechtsmedizin auf Anweisung der Polizei verabreicht. Die Verantwortlichen wurden nie strafrechtlich belangt.
 
Amad Ahmad: Gestorben am 28.9.2018 durch Brand in JVA Kleve, in der er unrechtmäßig festgehalten wurde. Der junge Kurde sei aufgrund einer Namensverwechslung für einen gesuchten Straftäter gehalten worden. Laut Behördenaussagen handelt es sich um Selbstmord. Recherchen von Monitor und Westpol werfen Fragen auf, die Datensätze, die zur Verhaftung von Amad Ahmad führten, waren offenbar nachträglich gezielt manipuliert worden. Die Polizeibeamti*innen wurden wegen Freiheitsberaubung angzeigt. Die Ermittlungen wurden ohne Urteil eingestellt.
 
Christy Schwundeck: Am 19.05.2011 in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von einer Polizistin erschossen. Die 40-Jährige hatte zuvor erfolglos von ihrem Sachbearbeiter Geld gefordert, weil sie seit Tagen kein Bargeld mehr hatte. Als die Polizei eintrifft, verletzt Schwundeck einen Beamten mit einem Messer und wird daraufhin von einer Beamtin erschossen. Gegen die Schützin wird nie Anklage erhoben, die Staatsanwaltschaft hält ihre Schüsse für Notwehr.
 
William Tonou-Mbobda: Gestorben im April 2019 im Universitätsklinikum Hamburg. Er hatte sich dort freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben. Unter bislang nicht geklärten Umständen wurde er dort im Außenbereich von Sicherheitspersonal zu Boden gebracht und fixiert. Bei dieser Zwangsmaßnahme kollabierte der Mann und verstab fünf Tage später.
 
Rooble Muse Warsame: Gestorben im Februar 2019 in Schweinfurt. Er war in Polizeigewahrsam. Die Umstände sind unklar.
 
Laye-Alama Condé: Gestorben an Silvester 2004 in Bremen. Wegen des Verdachts auf Drogenhandel wurden ihm Brechmittel verabreicht, woraufhin er verstarb. Die Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den behandelnden Arzt wurde 2013 final eingestellt. Der Arzt hat Condés Mutter 20.000 Euro als Entschädigung überwiesen.
 
Oury Jalloh: Gestorben am 7. Januar 2005 in einer Polzeizelle in Dessau. Die Beamten in der Polizeidienststelle behaupten, er habe seine Matratze angezündet und sei dann im Feuer umgekommen. Die Ermittler, die den Ort des Todes untersuchen, finden kein Feuerzeug. Zwei Tage später taucht plötzlich eins auf. Die Faserspuren am Feuerzeug sind allerdings andere als die der Matratze und der Kleidung des Mannes. Der Mann, der sich selbst angezündet haben soll, war mit Handschellen gefesselt.
 
Ousman Sey: Am Morgen des 7. Juli 2012 starb der aus Gambia stammende Ousman Sey im Dortmunder Polizeigewahrsam. Zuvor hatte Sey zwei Mal vergebens einen Krankenwagen gerufen, weil er sich schlecht gefühlt hatte. Nach dem ersten Eintreffen diagnostizierten die Rettungskräfte ein Herzrasen und attestierten ihm, noch kein Fall für das Krankenhaus zu sein. Als Sey eine halbe Stunde später erneut einen Krankenwagen rief, litt er Angaben seines Bruders zufolge bereits unter Krampfanfällen. Außerdem begann er angeblich, in seiner Wohnung zu „randalieren“, weshalb Einsatzkräfte der Polizei gleichzeitig mit den Rettungskräften eintrafen. Diese attestierten Sey erneut, nicht ins Krankenhaus zu müssen – eine Untersuchung durch den Polizeiarzt im Gewahrsam reiche aus. Dies geschah, obwohl eine im selben Haus wohnende Krankenschwester den Einsatzkräften klarzumachen versuchte, dass Ousman Sey dringend ins Krankenhaus gebracht werden müsse.  In Polizeigewahrsam angekommen, brach Ousman Sey jedoch sofort zusammen und starb laut Angaben der Behörden kurze Zeit später im Krankenhaus an einem Atemstillstand.
 
Hussam Fadl: Im September 2016 in einer Geflüchtetenunterkunft von Polizisten von hinten erschossen, da er laut ihrer Aussage mit einem Messer auf eine andere Person zulief. Mehrere Zeugen verneinen diese Aussge, unter ihnen Polizisten. Ein Messer wurde dennoch bei ihm gefunden, von dem Polizisten, der den tödlichen Schuss abfeuerte. Auf diesem Messer fanden sich jedoch weder DNA-Spuren noch Fingerabdrücke des Opfers. Das Verfahren gegen die Polizisten wurde zuerst eingestellt, Hauptbeweisstück im Prozess war eben jenes Messer. Erst auf Zutun des Anwalts der Witwe wird das Verfahren neu aufgerollt und liegt seitdem unter Verschluss der Öffentlichkeit bei der Staatsanwaltschaft. 
 
N’Deye Mareame Sarr: Am 14. Juli 2000 im Haus ihres Ex-Mannes in Aschaffenburg von einem Polizisten erschossen.
 
Dominique Koumadio: Nach einem Streit mit einem Kioskbesitzer wurde Kouamayo von der Polizei vor diesem Kiosk erschossen.
 
Yaya JabbieYaya Jabbi wurde am 14.1.2016 von der Hamburger Polizei festgenommen. Dabei wurde ihm zu Last gelegt, 1,65g Cannabis bei sich zu führen. Obwohl diese Menge weit unter der Eigenbedarfsgrenze von 6g liegt, wurde Jabbi in Untersuchungshaft gesteckt. Nach über einem Monat in U-Haft beging er in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar Suizid.
 
Halim DenerHalim Dener kam mit 16 als kurdischer Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland. Am späten Abend des 29.06.1994 war Dener mit anderen kurdischen Aktivisten dabei Plakate einer PKK-nahen Organisation zu kleben, als die Polizei auf sie aufmerksam wurde. Während der folgenden Handgreiflichkeiten erschoss ein Zivilpolizist Halim Dener. Der Polizist wurde schließlich vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei gesprochen.
 
Matiullah J.Am 13. April 2018 wurde der 19-jährige Matiullah J. in Fulda vor dem Flüchtlingscamp, in dem er wohnte, von der Polizei erschossen. Fünf Polizisten soll es nicht möglich gewesen sein, einen randalierenden Jugendlichen festzunehmen, ohne ihn dabei zu töten. Angeblich aus Notwehr wurden 12 Schüsse aus nur einer Waffe abgegeben. Vier Schüsse trafen Matiullah, zwei waren tödlich.