Rede bei Bunt gegen Rassismus

Es herrscht Krieg in Europa. Auf Befehl Putins hat die russische Armee einen brutalen Überfall auf die Ukraine begonnen. Dieser Überfall stürzt Millionen Menschen in Tod, Flucht, Leid und Elend. Dieser Überfall ist durch nichts zu rechtfertigen und es ist richtig und notwendig auf allen Ebene gegen ihn zu protestieren und sich auf allen Ebenen für den sofortigen Rückzug der russischen Armee einzusetzen. Putin, seine Militärs und Oligarchen müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Doch bei aller Ablehnung Putins und seiner Unterstützer*innen müssen wir uns auch gegen die neue Kriegs- und Aufrüstungsbegeisterung, gegen die neue Einigkeit „des Westens“ stellen. Wenn Putin bereits als größerer Verbrecher als Hitler bezeichnet wird, machen wir nicht mit. Wenn Nationalismus, europäischer Mythos und die Bewaffnung faschistischer Milizen als einzige Alternative zum Angriffskrieg Russlands erhoben werden, machen wir nicht mit. Wenn 18-60 jährigen Ukrainern die Ausreise verboten wird, sie zum Kämpfen gezwungen werden sollen, machen wir nicht mit. Stattdessen sind wir mit all jenen parteiisch, die unter dem Überfall leiden, mit all jenen die sich gegen ihn wehren, gegen ihn protestieren, gegen ihn kämpfen, vor ihm fliehen. In der Ukraine, in Russland und überall.

Dieser Krieg und die jetzige Situation haben eine Vorgeschichte.

Heuchelei

Wir müssen nur wenige Monate zurückblicken und schon entlarvt sich die neue Einigkeit gegen Putin und seinen Angriffskrieg: Ein Blick auf Söder und die bayrische CSU, Kretschmer in Sachsen, ein Blick auf die AfD, auf Wagenknecht und ihre prorussische Linke, auf Schröder und viele andere zeigt, dass Putin und seine Freunde über alle Parteilinien hinweg und jahrzehntelang in Deutschland und Europa gern gesehene Gäste waren. Putin und seine Politik der starken Hand, sein männlicher Autoritarismus waren und sind Vorbild für reaktionäre Kräfte auch hier bei uns.

Und nicht nur Putin führt Angriffskriege: Gerade jetzt bombadiert das NATO-Mitglied Türkei unter Führung Erdogans in einem Angriffskrieg kurdische Gebiete in Syrien und Irak und gerade jetzt bombadiert Saudi-Arabien, enger Bündnispartner der USA und aussichtsreiche Alternative für das fehlende Öl aus Russland, den Jemen in Grund und Boden.

Wer den Krieg in Russland verurteilt, all die anderen Kriege aber einfach hinnimmt, wer Putins Politik und seine Freunde angreift, aber in Deutschland rechte, antifeministische und rassistische Positionen vertritt, heuchelt die Antteilnahme nur und wird nie Bündnispartner für unsere Kämpfe für eine bessere Welt sein können.

Gegen Militarismus und Kriegstreiberei

In einer historischen 180-Grad Wendung der deutschen Militärpolitik hat Bundeskanzler Olaf Scholz unter brausendem Applaus fast aller Bundestags-Fraktionen den massiven Ausbau der Bundeswehr angekündigt. Fast 70% der deutschen Bevölkerung unterstützen diesen Kurs und erst kürzlich wurde in Versailles in Frankreich, die begleitende massive Aufrüstung der europäischen Union diskutiert.

Natürlich hilft dieser deutsch-europäische Aufrüstungstaumel der Ukraine im aktuellen Krieg überhaupt nicht, sondern zielt darauf ab die Stellung Deutschlands und der EU weltweit abzusichern und auszubauen. Wir finden diese Entwicklung brandgefährlich.

Diese Entwicklung ist erstens gefährlich nach außen: Wer so viel Geld in militärische Aufrüstung steckt, wird selbstverständlich sein Militär auch zur Lösung von internationalen Konflikten einsetzen. Wer für 100 Milliarden Euro Panzer und Kampfjets kauft, wird diese auch verwenden wollen. Zukünftige Kriege mit deutscher und europäischer Beteiligung sind vorprogrammiert.

Der Aufrüstungstaumel ist aber auch gefährlich nach innen: Durch massive Finanzierung und Thematisierung fehlen Aufmerksamkeit und Mittel für dringend notwendige Kämpfe: die Preise für Lebensmittel, Wohnen und Heizen steigen, die Pandemie ist nicht vorbei, der Pflegenotstand spitzt sich immer weiter zu, für gute Bildung fehlen Konzepte und das Geld, die Klimakrise verschlimmert sich täglich und plötzlich stehen Investitionen in Atomkraft und fossile Energien wieder wie selbstverständlich zur Debatte. Was sich nicht ändert: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.

All diese Krisen, all diese Ungleichheiten und Probleme rücken gerade neben Aufrüstung und Krieg in den Hintergrund. Diese Krisen sind durch Aufrüstung und Militarisierung nicht zu lösen, stattdessen werden sie dadurch nur weiter verstärkt.

Rassismus (und seine Unterschiede)

In öffentlichen Debatten um den Angriffskrieg Russlands und die darauf folgenden Fluchtbewegungen war in den letzten Wochen immer wieder die Rede davon, dass die Ukraine Teil Europas und Ukrainer*innen „christlich“, „relativ zivilisiert“, „blond und blauäugig“ seien. Die riesige Welle der Solidarität in Europa gegenüber ukrainischen Flüchtenden wurde gleichzeitig damit begründet, Ukrainer*innen seien „gute“ oder „echte“ Flüchtlinge und sie seien „wie wir“. Die Unterteilung von Menschen in gut und schlecht entlang von körperlichen oder kulturellen Merkmalen ist und bleibt rassistisch. 

Und die rassistische Begründung scheint notwendig, denn: Wie sonst ließe sich rechtfertigen, dass wenige tausend Flüchtende an der polnisch-belarussischen Grenze nicht aufgenommen werden und diesen Winter Dutzende von ihnen elendig erfrieren mussten. Wie sonst ließe sich erklären, dass so vielen Menschen Tag für Tag auf die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer gezwungen werden und Tausende ertrinken müssen. Wie sonst ließe sich erklären, dass 2015 1,4 Millionen Flüchtende zur bedrohlichen sogenannten „Flüchtlingskrise“ oder -welle skandalisiert wurden, jetzt aber 2 Millionen Ukrainer*innen unter großer Zustimmung und in wenigen Wochen aufgenommen werden können.

Wir begrüßen die rießige Welle der Solidarität gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine. Sie zeigt was möglich ist, wenn sich Gesellschaften ihrer Verantwortung gegenüber Flüchtenden bewusst sind. Doch wir bleiben skeptisch. Auch 2015 gab es eine überwältigende Willkommenskultur. Nur wenige Monate später drehte sich die Stimmung komplett: Rassismus und Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte nahmen überhand. So sehr wir das Gegenteil erhoffen: Vor dem Hintergrund jahrhunderte altem antislawischen Rassismus in Deutschland ist ein Kippen der Stimmung wie 2015 wohl nur eine Frage der Zeit. Es gibt bereits Berichte von Angriffen gegen russischsprachige Menschen. Gegen dieses Kippen müssen wir uns schon jetzt organisieren. Engagiert euch in antifaschistischen Gruppen, in der Flüchtlingshilfe und -beratung, stellt euch gegen rassistische Ein- und Ausschlüsse. Kein Mensch ist illegal!

Wir kämpfen für eine Welt in der Menschen unabhängig von rassistischen Zuschreibungen, unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft aus Krieg und Not fliehen können. Deswegen fordern wir: Offene Grenzen und Fluchthilfe für alle!

Was tun?

Organisiert konkrete Unterstützung für Menschen auf der Flucht. Achtet besonders auf jene, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft als Flüchtende zweiter Klasse gelten. Unterstützt Aktivist*innen aus der Ukraine und Russland, die sich mutig und trotz massiver Repressionen gegen den Krieg und Putin stellen. Stellt euch gegen das zu erwartende Umkippen der Stimmung. Zeigt euch solidarisch mit allen Deserteur*innen. Niemand darf zum Kämpfen und Töten gezwungen werden.

Stellt euch gegen die Aufrüstung in Deutschland und der EU. Die Klimagerechtigkeitsbewegung, antifaschistische Selbstorganisierung und Bündnisse wie „Rheinmetall Entwaffnen“ sind Akteur*innen in denen ihr euch gemeinsam gegen Krieg und Militarisierung verbünden könnt.

Die massive Aufrüstung, die massive Militarisierung unserer Gesellschaft, die einfach so durch das Parlament ging, sie wird Denken und Leben in dieser Gesellschaft nachhaltig verändern. Und das ganz sicher nicht zum Besseren. Wir müssen versuchen dem Einhalt zu gebieten: Stellt euch gegen die Logik der Aufrüstung, setzt euch für progressive Krisenbewältigung ein und organisiert euch in Klimabewegung, Anti-kriegsbewegung, in Mietenstopp- und Pflegenotstandskämpfen, in feministischen, antirassistischen und antifaschistischen Gruppen.

Lasst uns gemeinsam eine progressive Alternative zu den Krisen unserer Zeit finden. Militarisierung ist keine Solidarität! Für eine Ende der Gewalt!

Rede zur Gedenkkundgebung am 19.12.

 

Wir beginnen unsere Rede mit etwas unschönen Zitaten aus einer der vielen Telegramgruppen der sogenannten Querdenkenbewegung. Nachdem es im Chat eine Zeit lang um die Möglichkeiten des Auswanderns und das Potential von Demonstrationen ging, schreibt ein oder eine gewisse „Sunny“: „Wagenknecht sagt, dass Demos nicht viel bringen. Wir müssen die Politiker gezielt kontaktieren“. Guesto antwortet: „Richtig, Kämpfen Wir müssen die Leute aus der ersten Reihe vernichten. Gates und Co. Unsere Politik Schranzen sind nur Marionetten“. Andi Watt schaltete sich ein: „Absolut, man muss ganzheitlich an die Sache rangehen (Daumen hoch)“ Alexander repostet Elena unter den Kommentar und „erklärt“: „Viele wissen auch nicht dass wir in Deutschland KEINE Verfassung und kein (rechtlich) gültiges Grundgesetzt haben“. Elena, eine bekannte Coroanleugnerin aus Erlangen, warnt in der Gruppe immer wieder davor, dass die Antifa mitliest – das ist auch das einzige was in dem Chat stimmt – und mahnt: „Das stimmt zwar, aber bei Demos für Grundrechte ist es praktischer sich damit NICHT zu beschäftigen (lach smiliey)“. Doch der Chat läuft gerade erst warm: Senec Tarius erklärt, dass er zwar chronisch krank sei, aber er dennoch will, dass sich „endlich was tut. Zur Not auch anderweitig, als nur mit Schildern, trommeln und Pfeifen“. Helena Druuh ergänzt: „wir sollten richtig Terror machen“ und Thomas aus Bernau weiß, was mit den Gegner:innen zu machen sei: „Die KZ´s stehen ja noch“.

Wir brechen an dieser Stelle das Zitieren aus dem Chat ab. Solche Telegramgruppen mit den gleichen oder ähnlichen Inhalten gibt es zu Hunderten in Deutschland. Lokale Brisanz hat dieser Fall jedoch, da es sich um den Telegramchanel der Gruppe „StudentenStehenAuf – Nürnberg/Erlangen“ handelt. Diese, nach außen bewusst harmlos und akademisch auftretende Gruppe, hat am 27. November ausgerechnet an der Lewin-Poeschke-Anlage in Erlangen ihre Demonstration gestartet. Aktuell kursiert auch eine Morddrohung in der Gruppe.

Wir wollen nicht nur ein weiteres Mal auf die Gefahr und das terroristische Potential der Querdenkenbewegung hinweisen, wir wollen auch eine kurze theoretische Einordnung dieser Gruppierung vornehmen. Denn Querdenken ist nur auf den ersten Blick heterogen aus vermeintlich links stehenden Impfkritiker:innen, Ersoteriker:innen, Reichsbürgern, der identitären Bewegung und, je nach Stadt, örtlichen Hooligangruppen zum Wegfreiprügeln zusammengesetzt. In Erlangen war an der Demonstration übrigens auch die neonazi Burschenschaft „Frankonia“ beteiligt. Was die Zusammensetzung der Querdenkenbewegung verbindet, ist eine zentrale Ideologie: Der Antisemitismus.

Antisemitismus ist eine wahnhafte Verbindung aus Weltanschauung und Leidenschaft, mit der alles was gesellschaftlich und politisch widersprüchlich ist, erklärt wird. Im antisemitischen Allerklärungsanspruch nehmen Verschwörungsmythen in Form von antisemitischen Codes eine zentrale Rolle ein. So eint die Querdenkenbewegung trotz optischer Differenzen der Glaube, dass geheime Eliten das Virus in die Welt gesetzt habe. Diese Eliten nehmen abwechselnd die Gestalt von Bill Gates, der Familie Rothschild, dem Kommunismus oder dem in Ungarn geborenen jüdischen Geschäftsmann und Philanthropen George Soros an, je nachdem, ob es sich um QAnon-Anhänger:innen, Reichsbürger, Esoteriker:innen oder die Identitäre Bewegung handelt.

Die zentralen Schlagwörter dazu sind auch im Chat der Erlanger Gruppe gefallen.  

Andere Gruppierungen brauchen wiederum keine antisemitischen Chiffren und sprechen gleich von den „Zionisten“, die hinter allem stehen. Neben den Zionismus treten im Falle der Impfgegnerideologie noch die modere Medizin, welche als künstlich markiert wird. Dieser werden die „natürlichen Abwehrkräfte“, die Homöopathie oder die Naturmedizin entgegengehalten – und falls dies nicht hilft, muss eben ein Pferdeentwurmunsgmittel nachbessern, wie kürzlich in Österreich geschehen.

Dabei gäbe es drängende Kritikpunkte am staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie: Doch anstatt die virologisch sinnlosen Ausgangssperren zu Beginn des Jahres zu thematisieren, statt die dramatischen Zustände in Geflüchtetenunterkünften, Gefängnissen und die massive Zunahme häuslicher Gewalt zu skandalisieren, anstatt die kapitalistische Überformung des Gesundheitssektors zu kritisieren, anstatt all dies zu tun, bildet der Antisemitismus den Kitt, der diese Akteure zusammenbringt.

Dass der Ursprung der Pandemie, mit all ihren Risiken und Gefahren, keiner Person oder Gruppe allein zugeschrieben werden kann, wird nicht ausgehalten. Dass das politische Versagen immer auch ein kapitalistisches Funktionieren bedeutet, wird nicht begriffen.

Dagegen werden finstere Mächte hinter der tatsächlich abstrakten Bedrohung des Virus phantasiert. Und so gelten der Reichtum von Gates oder Soros, jeder einzelne Krisengewinn und jede korrupte Maskenaffäre nicht als das, was sie sind, nämlich als Ausdruck der kapitalistischen Normalverhältnisse im Ausnahmezustand der Pandemie, sondern sie gelten als Teil eines bösen Plans diabolischer Geschäftemacher, den niemand durchschaut, obwohl er doch im Internet steht.

Umgekehrt wähnt man das einfache „Volk“ zu repräsentieren, welches wie Marionetten von finsteren Mächten beherrscht werde. Man glaubt regelrecht zu spüren wie es „damals“ war. Es ist daher kein Zufall, dass ein junges Mädchen auf einer Querdenkendemo behauptet, sie fühle sich wie Anne Frank und es ist ebenfalls kein Zufall, dass von Anfang an bei den Demonstrationen gelbe Sterne und Schilder zu sehen waren auf denen „Ungeimpft“ oder „Impfen macht frei“ steht. Die Täter-Opfer-Umkehr und Selbstinszenierung als Opfer bilden die andere Seite der falschen Welterklärung. Dort die Bösen, wir die Guten, auch wenn das „Gut-Sein“ bedeutet die vorerkrankte Umgebung damit umzubringen. Schuldabwehr funktioniert nur durch Schuldzuweisung. Also fühlt man sich regelrecht selbst als Jude und Drosten, Merkel und Co. empfindet man mindestens so schlimm wie die Nazis. Und um das der Welt mitzuteilen, nimmt man eben auch gerne in Kauf mit echten Nazis zu marschieren oder selbst einer zu werden.

So skurril die aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus auch sein mögen, sie haben nichts an ihrem Gefahrenpotential eingebüßt. Der Antisemitismus drängt dazu zur Tat zu schreiten. Die Coronaleugner fühlen sich im Recht, sie fühlen sich mit dem Rücken zur Wand und sie fühlen, dass bald „etwas passieren muss“.

Und es passiert bereits was: Zu nennen sind die vielen Anschläge auf Impfzentren, der Kopfschuss auf einen Tankstellenangestellten in Idar-Oberstein, der auf die Maskenpflicht hinwies oder der Familienvater aus Brandenburg mit dem gefälschten Impfzertifikat, der seine drei Kinder und seine Frau tötete um sich einer angeblichen Verfolgung durch den Staat zu entziehen. Diese Taten resultieren aus dem verschwörungsideologischen Weltbild – schließlich verteidige man nur sich selbst und die Demokratie gleich mit dazu.

Bis heute wird der Antisemitismus der Bewegung unterschätzt und verharmlost. Auch hier in Erlangen. Ausgerechnet in der Lewin-Poeschke-Anlage wurde eine Querdenken-Demo vom Ordnungsamt erlaubt.

Es liegt also an uns, Antworten auf die rechte Mobilmachung zu finden. Wir müssen uns einmischen. Wir müssen den Antisemitismus und seine Verschwörungsphantasien bekämpfen und wir müssen die Gesellschaftsordnung, die diese immer wieder hervorbringt benennen und kritisieren.

Gegen Nationalismus und Verschwörungsmythen! Gegen jeden Antisemitismus!

Kundgebung am 06.06.2020: Polizei – kein Freund und Helfer!

Gestern demonstrierten in Erlangen auf Einladung des Antifa-Cafés rund 400 Personen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Unter dem Motto „Black Lives Matter“ solidarisierten sie sich mit den globalen antirassistischen Protesten. In unserem Redebeitrag kritisierten wir rassistische Kontinuitäten von Staat und Polizei weltweit. Außerdem verlasen wir die Namen und die Todesumstände von Opfern rassistischer Polizeigewalt in Deutschland.

Meistens ist der Tod von Menschen, die Opfer von Polizist*innen wurden keine drei Sätze wert. Sie bleiben Randnotiz ohne medialen Widerhall. Denn in den meisten Fällen gibt es kein Video, das die Gewalt dokumentiert. Der rassistische Mord an George Floyd durch Polizeibeamten wurde durch Zeug*innen aufgenommen und der Welt schonungslos im Internet offengelegt. Dass daraufhin vier Polizisten entlassen, einer von ihnen wegen Totschlags angeklagt wurde und tausende Demonstrant*innen in der Großstadt im Bundesstaat Minnesota gegen exzessive Polizeigewalt protestieren, ist vor allem dem Videobeweis zu verdanken. Es war nicht der erste rassistische Mord der amerikanischen Polizei, es war nicht einmal der erste in diesem Jahr und nicht der letzte seitdem. 
Rassistische Gewalt durch die Polizei ist eine der Haupttodesursachen schwarzer junger Männer in den USA. George Floyd ist ein Name in einer langen Liste schwarzer Menschen, die durch Polizist*innen in den USA getötet worden sind und erinnert an den Tod von Sandra Bland, Mike Brown, Eric Garner, Freddie Gray, Aiyana Jones, Tamir Rice, Alton Sterling und unzähliger anderer. Namen von Menschen, die zu Symbolen rassistischer Polizeibrutalität geworden sind.Durch den Mord an George Floyd wurden wir wieder daran erinnert, dass rassistische Gewalt eine tödliche Gefahr ist. Rassistische Strukturen in der Polizei töten, immer wieder. Sie konsequent aufzubrechen ist mehr als wichtig, für viele ist es sogar überlebensnotwendig.
Die Proteste in US-amerikanischen Städten zeigen die Enttäuschung und die Verzweiflung, die Schwarzen angesichts des institutionellen und strukturellen Rassismus fühlen. 
 
Wir sollten uns allerdings nicht täuschen und denken, dies wäre allein ein US-amerikanisches Problem. Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze sind auch hier allgegenwärtig. Auch in Deutschland gehört rassistisches Polizeihandeln zum Alltag von BPoC und führt zum Tod von Menschen.
 
Für die meisten erscheint die Polizei zwar nicht immer als Freund, aber wenigstens als Helfer, als wichtiger Ansprechpartner für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung. Die Meistenkönnen sich mit deren Perspektive identifizieren. Vor allem weil sich diese Mehrheit in der Welt, die sie schützt, zu Hause fühlen (suggeriert, dass sich Personen, die nicht in diese Mehrheit einbegriffen sind,sich nicht zu Hause fühlen?). Neben dieser Mehrheitsperspektive gibt es jedoch eine Minderheitenperspektive, eine Perspektive von Menschen, die andere Erfahrungen mit der Polizei machen und für die Polizeikontakte zum alltäglichen Leben gehören. Tötungen sind nur die extremsten Beispiele alltäglicher Diskriminierungen. Wer wird im Zug nach dem Ausweis gefragt oder im Bahnhof an die Wand gestellt? Insbesondere Menschen of colour werden häufiger als Weiße angehalten, kontrolliert, beleidigt oder schikaniert. Aber auch andere Gruppen erleben die Polizei im besten Fall als lästig, im schlimmsten Fall als Gefahr fürs Leben. Arme Menschen, Wohnungslose, Drogennutzer*innen, Sexarbeiter*innen, Geflüchtete. Diese Perspektive schafft es oft nicht in die Öffentlichkeit. Der Normalzustand der Einen ist der alltägliche Ausnahmezustand der Anderen und die Polizei nicht Teil der Lösung von Gewalt sondern Teil des Problems.
Polizist*innen werden nur selten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Die wenigsten Strafanzeigen gegen Polizist*innen führen zu einem Verfahren und fast nie zur Verurteilung der Beschuldigten. Meistens kommt nur wenig heraus, wenn Beamt*innen gegen Kolleg*innen ermitteln. Laut der Untersuchung von Professor Tobias Singelnstein kommen nur 2% der Strafverfahren gegen Polizisten*innen vor Gericht. Somit handelt es sich um gewalttätigen Rassismus, der institutionell gedeckt ist.

 

Solange in dieser Gesellschaft einige Leben weniger als andere zählen, werden wir auf die Straße gehen. Wir schicken solidarische Grüße an unsere Genoss*innen und Freund*innen auf den Straßen amerikanischer Städte, die der entsicherten Staatsmacht praktische Solidarität entgegensetzen!
From Germany to Minneapolis: Fight the Police! Solidarity beyond borders! Black lives matter!

 


 
 
Das Folgende soll ein Zusammentragen von Opfern rassistischer Polizeigewalt in Deutschland sein. Die Liste ist und wird immer unvollständig sein.
 
Achidi John: Gestorben am 12.12.2001 in Hamburg an zwangsweiser Verabreichung von Brechmittel, in Kombination mit einem Herzfehler und vorheriger Einnahme von Kokain. Das Brechmittel wurde durch die Rechtsmedizin auf Anweisung der Polizei verabreicht. Die Verantwortlichen wurden nie strafrechtlich belangt.
 
Amad Ahmad: Gestorben am 28.9.2018 durch Brand in JVA Kleve, in der er unrechtmäßig festgehalten wurde. Der junge Kurde sei aufgrund einer Namensverwechslung für einen gesuchten Straftäter gehalten worden. Laut Behördenaussagen handelt es sich um Selbstmord. Recherchen von Monitor und Westpol werfen Fragen auf, die Datensätze, die zur Verhaftung von Amad Ahmad führten, waren offenbar nachträglich gezielt manipuliert worden. Die Polizeibeamti*innen wurden wegen Freiheitsberaubung angzeigt. Die Ermittlungen wurden ohne Urteil eingestellt.
 
Christy Schwundeck: Am 19.05.2011 in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von einer Polizistin erschossen. Die 40-Jährige hatte zuvor erfolglos von ihrem Sachbearbeiter Geld gefordert, weil sie seit Tagen kein Bargeld mehr hatte. Als die Polizei eintrifft, verletzt Schwundeck einen Beamten mit einem Messer und wird daraufhin von einer Beamtin erschossen. Gegen die Schützin wird nie Anklage erhoben, die Staatsanwaltschaft hält ihre Schüsse für Notwehr.
 
William Tonou-Mbobda: Gestorben im April 2019 im Universitätsklinikum Hamburg. Er hatte sich dort freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben. Unter bislang nicht geklärten Umständen wurde er dort im Außenbereich von Sicherheitspersonal zu Boden gebracht und fixiert. Bei dieser Zwangsmaßnahme kollabierte der Mann und verstab fünf Tage später.
 
Rooble Muse Warsame: Gestorben im Februar 2019 in Schweinfurt. Er war in Polizeigewahrsam. Die Umstände sind unklar.
 
Laye-Alama Condé: Gestorben an Silvester 2004 in Bremen. Wegen des Verdachts auf Drogenhandel wurden ihm Brechmittel verabreicht, woraufhin er verstarb. Die Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den behandelnden Arzt wurde 2013 final eingestellt. Der Arzt hat Condés Mutter 20.000 Euro als Entschädigung überwiesen.
 
Oury Jalloh: Gestorben am 7. Januar 2005 in einer Polzeizelle in Dessau. Die Beamten in der Polizeidienststelle behaupten, er habe seine Matratze angezündet und sei dann im Feuer umgekommen. Die Ermittler, die den Ort des Todes untersuchen, finden kein Feuerzeug. Zwei Tage später taucht plötzlich eins auf. Die Faserspuren am Feuerzeug sind allerdings andere als die der Matratze und der Kleidung des Mannes. Der Mann, der sich selbst angezündet haben soll, war mit Handschellen gefesselt.
 
Ousman Sey: Am Morgen des 7. Juli 2012 starb der aus Gambia stammende Ousman Sey im Dortmunder Polizeigewahrsam. Zuvor hatte Sey zwei Mal vergebens einen Krankenwagen gerufen, weil er sich schlecht gefühlt hatte. Nach dem ersten Eintreffen diagnostizierten die Rettungskräfte ein Herzrasen und attestierten ihm, noch kein Fall für das Krankenhaus zu sein. Als Sey eine halbe Stunde später erneut einen Krankenwagen rief, litt er Angaben seines Bruders zufolge bereits unter Krampfanfällen. Außerdem begann er angeblich, in seiner Wohnung zu „randalieren“, weshalb Einsatzkräfte der Polizei gleichzeitig mit den Rettungskräften eintrafen. Diese attestierten Sey erneut, nicht ins Krankenhaus zu müssen – eine Untersuchung durch den Polizeiarzt im Gewahrsam reiche aus. Dies geschah, obwohl eine im selben Haus wohnende Krankenschwester den Einsatzkräften klarzumachen versuchte, dass Ousman Sey dringend ins Krankenhaus gebracht werden müsse.  In Polizeigewahrsam angekommen, brach Ousman Sey jedoch sofort zusammen und starb laut Angaben der Behörden kurze Zeit später im Krankenhaus an einem Atemstillstand.
 
Hussam Fadl: Im September 2016 in einer Geflüchtetenunterkunft von Polizisten von hinten erschossen, da er laut ihrer Aussage mit einem Messer auf eine andere Person zulief. Mehrere Zeugen verneinen diese Aussge, unter ihnen Polizisten. Ein Messer wurde dennoch bei ihm gefunden, von dem Polizisten, der den tödlichen Schuss abfeuerte. Auf diesem Messer fanden sich jedoch weder DNA-Spuren noch Fingerabdrücke des Opfers. Das Verfahren gegen die Polizisten wurde zuerst eingestellt, Hauptbeweisstück im Prozess war eben jenes Messer. Erst auf Zutun des Anwalts der Witwe wird das Verfahren neu aufgerollt und liegt seitdem unter Verschluss der Öffentlichkeit bei der Staatsanwaltschaft. 
 
N’Deye Mareame Sarr: Am 14. Juli 2000 im Haus ihres Ex-Mannes in Aschaffenburg von einem Polizisten erschossen.
 
Dominique Koumadio: Nach einem Streit mit einem Kioskbesitzer wurde Kouamayo von der Polizei vor diesem Kiosk erschossen.
 
Yaya JabbieYaya Jabbi wurde am 14.1.2016 von der Hamburger Polizei festgenommen. Dabei wurde ihm zu Last gelegt, 1,65g Cannabis bei sich zu führen. Obwohl diese Menge weit unter der Eigenbedarfsgrenze von 6g liegt, wurde Jabbi in Untersuchungshaft gesteckt. Nach über einem Monat in U-Haft beging er in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar Suizid.
 
Halim DenerHalim Dener kam mit 16 als kurdischer Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland. Am späten Abend des 29.06.1994 war Dener mit anderen kurdischen Aktivisten dabei Plakate einer PKK-nahen Organisation zu kleben, als die Polizei auf sie aufmerksam wurde. Während der folgenden Handgreiflichkeiten erschoss ein Zivilpolizist Halim Dener. Der Polizist wurde schließlich vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei gesprochen.
 
Matiullah J.Am 13. April 2018 wurde der 19-jährige Matiullah J. in Fulda vor dem Flüchtlingscamp, in dem er wohnte, von der Polizei erschossen. Fünf Polizisten soll es nicht möglich gewesen sein, einen randalierenden Jugendlichen festzunehmen, ohne ihn dabei zu töten. Angeblich aus Notwehr wurden 12 Schüsse aus nur einer Waffe abgegeben. Vier Schüsse trafen Matiullah, zwei waren tödlich.