Gestern rief die Kampagne Erlangen Packt An zu einer Kundgebung unter dem Motto #leaveNoOneBehind auf. Auf dem Erlanger Schlossplatz wurde der Umgang der europäischen Staaten mit Geflüchteten an den Außengrenzen der EU lautstark kritisiert und stattdessen eine solidarische Antwort auf die Corona-Krise gefordert.
Corona trifft uns alle; aber nicht alle gleichermaßen. Unser aller Alltag hat sich verändert,
soziale Kontakte werden eingeschränkt und kulturelle Veranstaltungen abgesagt. Diese Maßnahmen sind sinnvoll und im Geiste eines solidarischen Zusammenlebens von uns allen, nach unseren Kapazitäten gefordert. Doch eben diese Maßnahmen werden dadurch untergraben, dass unzählige Menschen weiter zur Arbeit gehen müssen, nur um die Wirtschaft weiter brummen zu lassen. Das ergibt, außerhalb einer kapitalistischen Logik, keinen Sinn. Widersprüche im Kapitalismus werden deutlicher, die Brüche, die vor der Pandemie vielleicht weniger sichtbar waren, brechen nun vollends auf.
Doch das ist nur ein Bruchteil dessen, was im Umgang mit der sogenannten Krise falsch läuft. Die Forderung, dass Menschen zuhause bleiben sollen, setzt natürlich voraus, dass man ein Zuhause hat. Menschen ohne festen Wohnsitz, bereits zuvor von der Gesellschaft ausgeschlossen, haben keine Möglichkeit, sich gegen die Krankheit zu schützen. Das Problem ist ein Strukturelles.
Blickt man nun an die Außengrenzen der EU, in die Lager auf den griechischen Inseln oder die Zustände im zentralen Mittelmeer, erreichen diese Missstände eine lebensgefährliche Ebene. Die dort herrschenden katastrophalen Zustände, die schon vor der starken Verbreitung des Virus von der EU und Deutschland provoziert und billigend in Kauf genommen wurden, spitzen sich nun weiter zu. Anstatt nach wirklichen Evakuierungsstrategien zu suchen und die Menschen in Sicherheit zu bringen, brüsten sich Deutschland und weitere EU-Staaten weiter damit, eine handvoll Kinder aufgenommen zu haben, während Tausende in den Lagern ausharren. Die viel geforderte Solidarität in diesen Zeiten ist eine Farce, ein Schlag ins Gesicht derer, die an den Außengrenzen der EU einst Hoffnung auf ein besseres Leben schöpften.
Es gibt jede Menge zu kritisieren am Umgang mit der aktuellen Situation. Die Kritik an kapitalistischen Widersprüchen, dem Vergessen der aus-der-Gesellschaft-Ausgeschlossenen und am desaströsen und menschenverachtenden Umgang mit den Menschen auf Lesbos muss geäußert werden. Laut, konsequent und unmissverständlich, wie das gestern in Erlangen passierte.
Doch Zulauf findet zurzeit vor allem Protest, der mit echter Kritik rein gar nichts zu tun hat, auch wenn er sich gerne besonders kritisch gibt.
Unter dem Deckmantel der Wahrung der Grundrechte trugen gestern Verschwörungsfantasten auf dem Rathausplatz in Erlangen und in ganz Deutschland ihre Ideologien auf die Straße. Sie üben sich im Zusammenkonstruieren kruder Erklärungsversuche der aktuellen Situation, denen hier gar nicht zu viel Raum gegeben werden soll. Sie werden von den Vorsängern der Verschwörungsideologen, deren Videos Klickzahlen in Millionenhöhe einfahren, sowieso schon viel zu weit verbreitet. Kurz zusammen fassen lassen sie sich sowieso alle mit „Es gibt da einen geheimen Plan, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen – mittels angeblich hochgefährlichen Impfstoffen, 5G Netzwerken oder Microchips“. Auch Reichsbürgerthesen oder die vollends abstruse QAnon Verschwörungstheorie tauchen in diesem Umfeld auf und werden in den Telegram-Gruppen der sog. „Corona Rebellen“ kritiklos weiterverbreitet.
Man könnte diese Theorien als psychotische Wahnvorstellungen dringend hilfebedürftiger Menschen abtun; oder als harmlose Spinnerei; absurde Fantasien; Quatsch, den eh niemand ernst nimmt. Aber das wäre zu kurz gegriffen.
Diese Ideologie ist hochgefährlich. Sie bedient klassisch antisemitische Feindbilder einer heraufbeschworenen strippenziehenden Elite, die für das gesamte Unglück unserer Zeit verantwortlich sei.
Wenn man dann nur endlich diese verschwörerische Elite und ihre gekauften Politiker*innen loswürde, dann wäre hier endlich Friede, Freude, Eierkuchen.
Diese Vorstellung ist zum einen eine sehr naive Erklärung unserer Gesellschaft. Statt die wirklichen, strukturellen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise zu kritisieren werden diese Widersprüche überdeckt von der Suche nach dem einen Sündenbock. Zum anderen hat diese Vorstellung nur eine Konsequenz: das Pogrom, die Gewalt gegen die vermeintlich Schuldigen.
Traditionellerweise werden „Die Juden“ als diese Schuldigen identifiziert und in der Shoa wurde diese letzte Konsequenz der antisemitischen Verschwörungsideologie grausame Wirklichkeit.
Solidarisches Miteinander auch, und gerade, in Zeiten von Corona heißt deshalb eben auch, immer wieder gemeinsam gegen Verschwörungsfantasien zu kämpfen, nun eben in ihrer neuesten Ausprägung, den selbst-ernannten Corona Rebellen. Der Umgang mit der Krise muss kritisch begleitet werden, um zu verhindern, dass die von der Gesellschaft marginalisierten Gruppen (Geflüchtete, Wohnungslose, psychisch Kranke, um nur ein paar Beispiele zu nennen) die Hauptlast der Krise tragen müssen. Nur so können wir eine wirkliche Solidarität erreichen – nur so können wir wirklich solidarisch sein. Nur kann und darf das niemals in einer Querfront mit Rechten und Verschwörungsideologen passieren.
Gegen JEDEN Antisemitismus – auch und gerade in vermeintlich linken oder alternativen Zusammenhängen!
Solidarität mit den Geflüchteten – an den Außengrenzen der EU und überall!
Leave no one behind!