Am Sonntag, den 05.04.2020 fand in Erlangen eine Aktion des Bündnisses „Seebrücke“ statt. Damit schloss sie sich dem bundesweiten Aufruf der Seebrücke an. Das Bündnis, welches sowohl aus Einzelpersonen als auch aus politischen Gruppen besteht, hatte dazu eingeladen, Papierflieger vor das Erlanger Rathaus zu legen. Damit sollte ein Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten an den Außengrenzen Europas gesetzt werden und insbesondere auf die Situation der Menschen in den Lagern auf der griechischen Insel Lesbos aufmerksam gemacht werden, die dort unter menschenunwürdigen Bedingungen der Abschottungspolitik der EU und Deutschlands ausgeliefert sind. Die Aktion fand im Einklang mit den Abstandsgeboten statt, die aktuell aufgrund der Corona-Situation gefordert sind. Die „Seebrücke“ versuchte entgegen aller Widrigkeiten zu zeigen, dass die in Zeiten von Corona geforderte Solidarität nicht an den deutschen Grenzen enden darf; dem solidarischen Gedanken kann man nur gerecht werden, wenn Solidarität alle Menschen meint.
Dem Aufruf schlossen sich zahlreiche Einzelpersonen an. In sicherem Abstand, um sich und Andere zu schützen legten sie Papierflieger und Transparente mit Forderungen ab. So war es möglich ein kleines, aber merkliches Zeichen der Solidarität zu setzen. Wir als Gruppe Antithese freuen uns über den Einsatz der Aktivist*innen und stehen solidarisch hinter der Aktion.
Die Aktion geschah in politisch und gesellschaftlich unruhigen Zeiten. Ausgangsbeschränkungen waren frisch erlassen, kritische Stimmen im öffentlichen Diskurs verstummten. Die Diskussionen zum deutschen und europäischen Umgang mit den Geflüchteten in Griechenland und an den Außengrenzen der EU kamen völlig zum Erliegen. Die humanitäre Katastrophe und die bewusst unterlassene Hilfeleistung der EU verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung. Demonstrationen und politischer Ausdruck wurden untersagt, eine „Demokratisierung der Krise“ war unmöglich. Dies wollten die Aktivist*innen nicht hinnehmen und riefen entschlossen, dennoch besonnen, zu ihrer Aktion auf.
Diese Besonnenheit ließ die Erlanger Polizei an diesem Tag vermissen. Wie Aktivist*innen berichten wurden sie im Nachgang der Aktion von der Polizei aufgegriffen und angegegangen. In aller Öffentlichkeit wurden sie von der Polizei gegängelt, mussten sich erkennungsdienstlichen Maßnahmen unterziehen, wurden durchsucht und mussten sich die Beschlagnahmung ihrer Speichermedien gefallen lassen. Ein Aktivist, noch minderjährig, wurde von der Polizei eingeschüchtert und gezwungen, den Beamt*innen Einblicke in private Chatverläufe auf seinem Handy zu geben. Gegen die beiden Jugendlichen wurden Ermittlungen eingeleitet.
Die Argumentation der Polizei, dass es sich hierbei um Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gehandelt hat, ist so fadenscheining wie falsch. Kein Mensch wurde, bis die Polizei vor Ort war, gefährdet. Wenn von irgendjemandem ein Infektionsrisiko an diesem Tag ausging, dann von den Beamt*innen, die die Aktivist*innen und sich selbst durch eine solche Vorgehensweise in Gefahr brachten. Wir können und wollen dieses Geschehen nicht unkommentiert lassen. Wir betrachten es mit Unverständnis, Sorge und Wut, wenn die Polizei so gegen Grundrechte und -pfeiler einer kritischen Gesellschaft vorgeht. Wie inzwischen durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt, kann die Corona-Krise nicht der Grund sein, politisches Engagement zu verbieten. Wir sind uns alle der aktuellen Situation bewusst, genauso wie die Aktivist*innen Anfang April. Doch diese Krise darf nicht als Freifahrtschein der Polizei gelten, um gegen alles Unliebsame vorzugehen. Die Empfänglichkeit der Polizei für antidemokratische Tendenzen ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Die Gefahr, dass sie sich in „Krisen- und Ausnahmesituationen“ noch willkürlicher gegenüber Linken und sozialen Randgruppen verhält, wollen wir so nicht hinnehmen.
Die Geflüchteten in Griechenland können nicht warten bis die Corona-Krise vorüber ist. Die deutsche Politik versucht gerade, das Bild des frommen Samariters von sich zu zeichnen. Diese Farce macht uns, angesicht des Dramas an den europäischen Außengrenzen, befeuert durch die deutsche Politik, wütend. Ferner versuchen gerade rechte Gruppen, die Krise für sich zu instrumentalisieren. Seit Aufkommen des Virus ranken sich Verschwörungsphantasmen um dessen Entstehung und Ausbreitung, Netzwerke zwischen radikalen Rechten und der Prepper-Szene werden wieder sichtbarer. Die rechtsextreme Kleinstpartei „III. Weg“ bietet „Nachbarschaftshilfe für Deutsche“ in Erlangen und der Region an. Wie etwa das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) Anfang April meldete, bereiten sich diese Kreise auf einen „Tag X“ in der aktuellen Krise vor und räumen ihre Waffenlager leer. Gerade die Erkenntnisse, dass diese Netzwerke anschlussfähig in Bundeswehr und Polizeibehörden sind, beunruhigen heute besonders. Auch wenn wir hoffen, dass uns dieser „Tag X“ mit all seinen schlimmen Konsequenzen erspart bleibt, können wir dieses Thema nicht unbeobachtet lassen und dürfen uns trotz der Krise und ihren Einschränkungen für persönliche Treffen und Aktionen auf der Straße nicht handlungsunfähig machen lassen. Auch wenn momentan unsere Arbeit anders aussieht: sollten Rechte versuchen aus der Situation Kapital zu schlagen werden wir da sein. Ebenso, wenn unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes dauerhaft Freiheitsrechte abgebaut werden.
Schützen wir uns und Andere. Vor einer mörderischen EU-Abschottungspolitik, rassistischen Übergriffen, staatlichen Repressionen auf allen Ebenen. Schützen wir unsere Freiheitsrechte vor dem Aufschwung autoritärer Strömungen. Nicht im Gegensatz zu den Schutzmaßnahmen zu Corona, sondern im Einklang mit ihnen.
Solidarität mit den Betroffen von staatlicher Repression – gerade jetzt.