Bauernproteste in Erlangen – Wie Rechte sämtlicher Spektren Anschluss suchen

Der von vielen Medien heraufbeschworene Weltuntergang ist ausgeblieben, der Auftakt der Bauernprotestwoche am Montag 8. Januar ist ruhig verlaufen. Der Generalstreik ist ausgeblieben und die vielfach geäußerten rechten Umsturzphantasien müssen ein weiteres Mal vertagt werden. Während in einigen Bundesländern Autobahnen und deren Auffahrten massenhaft mit Schleppern und Lastwägen blockiert wurden, kam es in der Metropolregion Nürnberg und Bayern nur zu kurzfristigen Verkehrsbeeinträchtigungen am frühen Morgen. Manche Blockaden wurden als Versammlungen angemeldet, andere – wie die am Autobahnkreuz A3/A73 – erfolgten spontan ohne Anmeldung. 

Zweierlei Maß

Anders als bei den Protesten der Klimagerechtigkeitsbewegung fordern Politiker*innen keine Präventivhaft für Landwirt*innen, die Sicherheitsbehörden ermitteln nicht wegen einer vermeintlichen kriminellen Vereinigung, hören keine Telefone ab, wenden keine Schmerzgriffe gegen die Blockierenden an – sondern regeln lediglich den Verkehr. Es gibt keinen medialen Shitstorm. Es wäre zu hoffen, dass dieser Umgang Schule macht, es wird aber wohl weiterhin mit zweierlei Maß gemessen werden.

Auch das Güllefass ist mal voll

Nachdem die Bundesregierung an einer unsinnigen Schuldenbremse festhalten will und über Nacht beschlossen hatte, zwei finanzielle Unterstützungsleistungen für die Landwirtschaft abzuschaffen, ließ vehementer Protest nicht lange auf sich warten. Bauernverbände protestierten sofort und riefen zu massenhaften Demonstrationen auf – obwohl die finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen für die Landwirt*innen gering gewesen wären. In vielen Aufrufen wird deutlich, dass die beiden Maßnahmen nur die letzten Tropfen waren, die das Fass nun zum Überlaufen gebracht haben. Seit Jahren wird die Landwirtschaft im globalen, europäischen, sowie nationalen Maßstab massiv kapitalisiert. Bauernhöfe müssen immer weiter wachsen – oder gehen pleite und werden aufgekauft: seit 2020 sind über 200.000 Höfe in Deutschland verschwunden. Ökologische Aspekte, menschliche Aspekte oder gar soziale Gerechtigkeit spielen keine Rolle. Agrarunternehmen können hochtechnisiert weiterbestehen, kleinere und mittlere Höfe sind massiv bedroht. Das hat auch elementare Folgen für den ländlichen Raum, die gesellschaftlich und politisch nicht die nötige Beachtung finden. Ebenso finden die am stärksten Betroffenen der globalen Agrarpolitik nicht die nötige Aufmerksamkeit: Menschen im globalen Süden, die sich Nahrungsmittel immer weniger leisten können. Dies erklärt auch, weshalb die Proteste weiterhin stattfinden, obwohl die Maßnahmen von der Bundesregierung großteils zurückgenommen wurden.

Die Extrem Rechte und die Bauernproteste

Geschichte und Gegenwart zeigen, wie stark die Extreme Rechte von Krisen und Unzufriedenheiten profitiert. Angesichts ihrer völkisch motivierten Verklärung des Landlebens ist es also wenig verwunderlich, dass die extreme Rechte schnell versucht auf den Protestzug aufzuspringen. Wie schnell und massiv sie ihre Erzählungen voranbringen konnte, ist dennoch beachtlich: Nahezu alle Spektren der extremen Rechten von A wie AfD, über D wie die neonazistische Kleinstpartei des Dritten Wegs, über I wie die neurechte Identitäre Bewegung, bis hin zu Z wie Zentrum Automobil setzten Medienkampagnen auf und riefen zu einer Beteiligung an den Bauernprotesten auf. Die verschwörungsideologische Protestszene halluzinierte Querverbindungen zu ihren Erzählungen eines angeblichen „Great Resets“ herbei, nahm es als Thema für ihre eigenen Versammlungen auf und mobilisierte zu den Kundgebungen der Landwirt*innen. Die allermeisten Vertreter*innen der Bauernverbände distanzierten sich daraufhin öffentlich von derartigen Vereinnahmungsversuchen – was aber leider teils gar nicht, teils nur sehr unscharf begründet wurde und sich häufig in einer inhaltslosen Distanzierung „von allen Extremisten“ verlor.

Auftakt der Protestwoche in Erlangen

Zum Auftakt der Protestwoche waren in Bayern zehntausende Menschen auf den Straßen. Allein in München beteiligten sich über 8.000 Personen. In Erlangen war der Rathausplatz mit gut 200 Teilnehmer*innen und unzähligen Schleppern gut gefüllt – bereits weit vor dem Beginn um 11 Uhr rollten die Fahrzeuge auf den Platz. Einige hatten sich zuvor an den Straßenblockaden im Umland beteiligt, andere den direkten Weg genommen. Die meisten verwendeten themenbezogenen Plakate und Schilder des Bayerischen Bauernverbands mit konkreten Forderungen; bei den Selbstgemachten war neben einigen wenigen Politikerschelten und Ampelbashing vor allem Humor zu finden, der politische Widersprüche thematisierte (Bspw: „Suche Werkstatt für Umbau auf Kerosin“). Die Andernorts präsentierten Galgen mit Politiker*innen, völkische und andere rechtsextreme Symbole, Fahnen und Parolen waren in Erlangen nicht zu sehen. Stattdessen waren in den meisten Fahrzeugen Plakate des Bauernverbands mit der Aufschrift „Landwirtschaft ist bunt nicht braun“ aufgehängt. Die Versammlung war damit klar von der Bauernschaft und ihren Themen dominiert.

Rechtes Unterwanderungspotential

Auch wenn es den Landwirt*innen also dieses Mal in Erlangen gelang, ihre Versammlung mit ihrem Ausdruck zu bestimmen, müssen die allgegenwärtigen extrem rechten Unterwanderungsversuche sehr ernst genommen werden. Immerhin beteiligten sich auch in Erlangen mehr als 20 Personen aus der extremen Rechten an der Kundgebung, stellten also rund 10 % der Teilnehmer*innen. So beteiligte sich ein halbes Dutzend subkulturell-neonationalsozialistisch orientierte Rechte in Szeneklamotten und eindeutigen Tattoos, beispielsweise mit einer tätowierten „28“ auf dem kahlrasierten Schädel, das für B & H, also die verbotene rechtsextreme Vereinigung „Blood & Honour“ steht. 
Aus der sogenannten „Neuen Rechten“ beteiligten sich Burschenschafter der extrem rechten Frankonia, die im Umfeld der Identitären Bewegung aktiv sind, und ein Mitglied des Landesvorstands der Jungen Alternative (Jugendorganisation der AfD) – mit akkuraten Gelscheiteln schon optisch auffälig.
Zuletzt beteiligte sich die lokale verschwörungsideologische Rechte mit einem guten Dutzend Personen an der Kundgebung: samt parolengeschmücktem Lastenfahrrad und umgedrehter Deutschlandfahne (einem Erkennungszeichen der extrem rechten Szene) verteilten sie auf der Kundgebung ungeniert und ungestört Flyer.

Die Brandmauer wackelt auch hier

Angesichts der Tatsachen, dass die extreme Rechte derzeit in Umfragen bei über 20% steht und gleichzeitig nie ohne die aktive Hilfe konservativer Kräfte an die Macht gelangte, sollte aber vor allem Eines bestürzen:
Am massivsten beteiligte sich die marktradikale Rechte in Form der Mittelstandsunion (MU). Mit mehreren feuerwehrähnlichen Fahrzeugen der Firma ihres Vorsitzenden, die mit großflächigen, inhaltsleeren Ampelbashing-Plakaten geschmückt waren, versuchten sie sich durch kostenlose Vollverpflegung die Herzen der Landwirt*innen zu erkaufen. Auch ihre einzige Chance zu punkten, immerhin setzt die MU eigentlich auf den Abbau von Subventionen. Ihr explizites Ziel ist ein Kapitalismus, der auch nicht einmal mehr minimal durch einen Sozialstaat eingegrenzt wird. Konsequenterweise veranstaltet die Mitt Vorträge mit dem rechts-libertären Antidemokraten Markus Krall (der kurz darauf in der ultrarechten Burschenschaft Frankonia sprach) oder laden rechte Verschwörungserzähler wie Hans-Georg Maaßen ein. Bei solchen Referenten wundert es nicht, dass die MU auf Social Media Werbespots der AfD teilt, selbst Videos von klandestin organisierten AfD-Veranstaltungen veröffentlicht und der AfD-Direktkandidat sich auf Veranstaltungen der selbst ernannten Kämpfer*innen für den Mittelstand sichtlich wohl fühlt.

Uns sonst in der Region

Immerhin ist Montagabend, in Nürnberg steht die wöchentliche Demonstration von Team Menschenrechte an. Unerwartet viele, über 400 Teilnehmer*innen versammeln sich. Aufgerufen haben nicht nur die Organisator*innen, sondern auch die AfD Nürnberg, die den ganzen Nachmittag schon einen Infostand in der Nürnberger Innenstadt betrieb. Beide griffen die Bauernproteste auf und adressierten explizit Landwirt*innen. Gekommen sind keine, ihr Thema wurde nur in verschwörungsideologischen Platitüden aufgegriffen. Gekommen ist vielmehr ein Motoradclub, die mittlerweile durch Altherrenunterstützung verstärkte Frankonia, Personen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung und zahlreiche Amts- und Mandatsträger der AfD und ihrer Jugendorganisation. Wie so oft war deren Parteilogo auf der Versammlung allgegenwärtig, auch das Fronttransparent wurde von einem AfD-Aktivisten und einem AfD-Stadtrat getragen.  In Bamberg adressiert Stay Awake die ebenfalls aus den Coronaprotesten entstanden ist wie die meisten verschwörungsideologischen Gruppierungen auch Landwirt*innen für ihre wöchentliche Demonstration. Anders als in Nürnberg folgten allerdings einige Landwirt*innen mit ihren Fahrzeugen dem Aufruf – ebenso wie einige Personen der neonazistischen Kameradschaft „Kollektiv Zukunft schaffen, Heimat schützen“ und der ebenfalls neonazistischen Kleinstpartei der Dritte Weg. Zahlenmäßig und vor allem durch weniger Merchandise fiel der neonazistische Arm der extremen Rechten nicht ins Gewicht – anders der parlamentarische Arm der extremen Rechten: wie in Nürnberg ist auch in Bamberg die AfD traditionell fester Bestandteil der Proteste.

Landwirtschaft heißt Antifa

Auch wenn sich die Landwirt*innen in Erlangen von den Rechten distanzieren – an vielen Orten wurden sie geduldet, an anderen Orten wurde sogar aktiv zusammengearbeitet. Anderenorts wurden von den Landwirt*innen selbst extrem Rechte Plakate gezeigt – die Geschichte zeigt ebenso wie aktuelle Untersuchungen eine Affinität der Landwirt*innen zu rechter Ideologie und deren Fragmenten. Es gilt also zu aller erst, rechten Bestrebungen innerhalb der eigenen Reihen zu begegnen. Die Sinnhaftigkeit von Ampelbashing bzw. das Zuschreiben der Verantwortung an einzelne Politiker*innen (die dann teilweise symbolisch gehängt wurden) ist angesichts der langen Geschichte der Probleme im Agrarsektor und besonders wegen deren systemischen Charakters mehr als nur zu hinterfragen. Kapitalismus heißt Wachstum – auch auf Ebene der Höfe. Bei begrenzter Fläche erfordert dies logischerweise das Aus kleinerer Höfe. Es wirken die gleichen Mechanismen, die in anderen Weltgegenden Menschen vom Zugang zur Nahrungsmitteln ausschließt und letztlich zur Flucht zwingt. Es sind die gleichen wirtschaftlichen Mechanismen, die auch hier dazu führen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Die Zusammenhänge dieser Mechanismen müssen aufgezeigt und verbunden werden. Dann wird auch klar, dass eine Hetze gegen Geflüchtete, die Anrufung einer Nation oder gar eine Volkes nichts helfen kann. Und solche rechten Hetzer*innen auf den Demos nichts verloren haben und es ihnen aktiv vermiest wird – dazu gibt es bereits Erfahrungen aus anderen sozialen Bewegungen.
Stattdessen gilt es, Kämpfe um soziale Gerechtigkeit nachhaltig zu verbinden und solidarische Netzwerke zu bilden!