Rede zur Gedenkkundgebung am 19.12.

 

Wir beginnen unsere Rede mit etwas unschönen Zitaten aus einer der vielen Telegramgruppen der sogenannten Querdenkenbewegung. Nachdem es im Chat eine Zeit lang um die Möglichkeiten des Auswanderns und das Potential von Demonstrationen ging, schreibt ein oder eine gewisse „Sunny“: „Wagenknecht sagt, dass Demos nicht viel bringen. Wir müssen die Politiker gezielt kontaktieren“. Guesto antwortet: „Richtig, Kämpfen Wir müssen die Leute aus der ersten Reihe vernichten. Gates und Co. Unsere Politik Schranzen sind nur Marionetten“. Andi Watt schaltete sich ein: „Absolut, man muss ganzheitlich an die Sache rangehen (Daumen hoch)“ Alexander repostet Elena unter den Kommentar und „erklärt“: „Viele wissen auch nicht dass wir in Deutschland KEINE Verfassung und kein (rechtlich) gültiges Grundgesetzt haben“. Elena, eine bekannte Coroanleugnerin aus Erlangen, warnt in der Gruppe immer wieder davor, dass die Antifa mitliest – das ist auch das einzige was in dem Chat stimmt – und mahnt: „Das stimmt zwar, aber bei Demos für Grundrechte ist es praktischer sich damit NICHT zu beschäftigen (lach smiliey)“. Doch der Chat läuft gerade erst warm: Senec Tarius erklärt, dass er zwar chronisch krank sei, aber er dennoch will, dass sich „endlich was tut. Zur Not auch anderweitig, als nur mit Schildern, trommeln und Pfeifen“. Helena Druuh ergänzt: „wir sollten richtig Terror machen“ und Thomas aus Bernau weiß, was mit den Gegner:innen zu machen sei: „Die KZ´s stehen ja noch“.

Wir brechen an dieser Stelle das Zitieren aus dem Chat ab. Solche Telegramgruppen mit den gleichen oder ähnlichen Inhalten gibt es zu Hunderten in Deutschland. Lokale Brisanz hat dieser Fall jedoch, da es sich um den Telegramchanel der Gruppe „StudentenStehenAuf – Nürnberg/Erlangen“ handelt. Diese, nach außen bewusst harmlos und akademisch auftretende Gruppe, hat am 27. November ausgerechnet an der Lewin-Poeschke-Anlage in Erlangen ihre Demonstration gestartet. Aktuell kursiert auch eine Morddrohung in der Gruppe.

Wir wollen nicht nur ein weiteres Mal auf die Gefahr und das terroristische Potential der Querdenkenbewegung hinweisen, wir wollen auch eine kurze theoretische Einordnung dieser Gruppierung vornehmen. Denn Querdenken ist nur auf den ersten Blick heterogen aus vermeintlich links stehenden Impfkritiker:innen, Ersoteriker:innen, Reichsbürgern, der identitären Bewegung und, je nach Stadt, örtlichen Hooligangruppen zum Wegfreiprügeln zusammengesetzt. In Erlangen war an der Demonstration übrigens auch die neonazi Burschenschaft „Frankonia“ beteiligt. Was die Zusammensetzung der Querdenkenbewegung verbindet, ist eine zentrale Ideologie: Der Antisemitismus.

Antisemitismus ist eine wahnhafte Verbindung aus Weltanschauung und Leidenschaft, mit der alles was gesellschaftlich und politisch widersprüchlich ist, erklärt wird. Im antisemitischen Allerklärungsanspruch nehmen Verschwörungsmythen in Form von antisemitischen Codes eine zentrale Rolle ein. So eint die Querdenkenbewegung trotz optischer Differenzen der Glaube, dass geheime Eliten das Virus in die Welt gesetzt habe. Diese Eliten nehmen abwechselnd die Gestalt von Bill Gates, der Familie Rothschild, dem Kommunismus oder dem in Ungarn geborenen jüdischen Geschäftsmann und Philanthropen George Soros an, je nachdem, ob es sich um QAnon-Anhänger:innen, Reichsbürger, Esoteriker:innen oder die Identitäre Bewegung handelt.

Die zentralen Schlagwörter dazu sind auch im Chat der Erlanger Gruppe gefallen.  

Andere Gruppierungen brauchen wiederum keine antisemitischen Chiffren und sprechen gleich von den „Zionisten“, die hinter allem stehen. Neben den Zionismus treten im Falle der Impfgegnerideologie noch die modere Medizin, welche als künstlich markiert wird. Dieser werden die „natürlichen Abwehrkräfte“, die Homöopathie oder die Naturmedizin entgegengehalten – und falls dies nicht hilft, muss eben ein Pferdeentwurmunsgmittel nachbessern, wie kürzlich in Österreich geschehen.

Dabei gäbe es drängende Kritikpunkte am staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie: Doch anstatt die virologisch sinnlosen Ausgangssperren zu Beginn des Jahres zu thematisieren, statt die dramatischen Zustände in Geflüchtetenunterkünften, Gefängnissen und die massive Zunahme häuslicher Gewalt zu skandalisieren, anstatt die kapitalistische Überformung des Gesundheitssektors zu kritisieren, anstatt all dies zu tun, bildet der Antisemitismus den Kitt, der diese Akteure zusammenbringt.

Dass der Ursprung der Pandemie, mit all ihren Risiken und Gefahren, keiner Person oder Gruppe allein zugeschrieben werden kann, wird nicht ausgehalten. Dass das politische Versagen immer auch ein kapitalistisches Funktionieren bedeutet, wird nicht begriffen.

Dagegen werden finstere Mächte hinter der tatsächlich abstrakten Bedrohung des Virus phantasiert. Und so gelten der Reichtum von Gates oder Soros, jeder einzelne Krisengewinn und jede korrupte Maskenaffäre nicht als das, was sie sind, nämlich als Ausdruck der kapitalistischen Normalverhältnisse im Ausnahmezustand der Pandemie, sondern sie gelten als Teil eines bösen Plans diabolischer Geschäftemacher, den niemand durchschaut, obwohl er doch im Internet steht.

Umgekehrt wähnt man das einfache „Volk“ zu repräsentieren, welches wie Marionetten von finsteren Mächten beherrscht werde. Man glaubt regelrecht zu spüren wie es „damals“ war. Es ist daher kein Zufall, dass ein junges Mädchen auf einer Querdenkendemo behauptet, sie fühle sich wie Anne Frank und es ist ebenfalls kein Zufall, dass von Anfang an bei den Demonstrationen gelbe Sterne und Schilder zu sehen waren auf denen „Ungeimpft“ oder „Impfen macht frei“ steht. Die Täter-Opfer-Umkehr und Selbstinszenierung als Opfer bilden die andere Seite der falschen Welterklärung. Dort die Bösen, wir die Guten, auch wenn das „Gut-Sein“ bedeutet die vorerkrankte Umgebung damit umzubringen. Schuldabwehr funktioniert nur durch Schuldzuweisung. Also fühlt man sich regelrecht selbst als Jude und Drosten, Merkel und Co. empfindet man mindestens so schlimm wie die Nazis. Und um das der Welt mitzuteilen, nimmt man eben auch gerne in Kauf mit echten Nazis zu marschieren oder selbst einer zu werden.

So skurril die aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus auch sein mögen, sie haben nichts an ihrem Gefahrenpotential eingebüßt. Der Antisemitismus drängt dazu zur Tat zu schreiten. Die Coronaleugner fühlen sich im Recht, sie fühlen sich mit dem Rücken zur Wand und sie fühlen, dass bald „etwas passieren muss“.

Und es passiert bereits was: Zu nennen sind die vielen Anschläge auf Impfzentren, der Kopfschuss auf einen Tankstellenangestellten in Idar-Oberstein, der auf die Maskenpflicht hinwies oder der Familienvater aus Brandenburg mit dem gefälschten Impfzertifikat, der seine drei Kinder und seine Frau tötete um sich einer angeblichen Verfolgung durch den Staat zu entziehen. Diese Taten resultieren aus dem verschwörungsideologischen Weltbild – schließlich verteidige man nur sich selbst und die Demokratie gleich mit dazu.

Bis heute wird der Antisemitismus der Bewegung unterschätzt und verharmlost. Auch hier in Erlangen. Ausgerechnet in der Lewin-Poeschke-Anlage wurde eine Querdenken-Demo vom Ordnungsamt erlaubt.

Es liegt also an uns, Antworten auf die rechte Mobilmachung zu finden. Wir müssen uns einmischen. Wir müssen den Antisemitismus und seine Verschwörungsphantasien bekämpfen und wir müssen die Gesellschaftsordnung, die diese immer wieder hervorbringt benennen und kritisieren.

Gegen Nationalismus und Verschwörungsmythen! Gegen jeden Antisemitismus!